Merlin empfiehlt Tschechows Kurzgeschichten

Eine kleine Dosis Tschechow

Wenn man an einem warmen Juliabend nach einem langen Lerntag am Zürisee sitzt und einem der Kopf von Orbitalen, Chemikalien oder irgendwas anderem schwirrt, kann man zum Beispiel «Angst» von Anton Tschechow zur Hand nehmen. Das Buch enthält sieben Kurzgeschichten die alle in irgendeiner Form von warmen Juniabenden, verschwirrten Köpfen und – wie der Untertitel verspricht – von der Liebe handelt.

Tschechow beschreibt seine Figuren, die fast alle dem niederen Adel des feudalen Russlands angehören, in einfacher und auf das wesentliche reduzierter Sprache. Gleichsam sind auch die Handlungen der Geschichten reduziert, es wird zusammen Kutsche oder Schlitten gefahren und spazieren gegangen. Emotionen werden dem Leser dabei nicht eindeutig präsentiert, sondern liegen unter der Oberfläche des Erzählten. Innerhalb dieses minimalistischen Rahmens gelingt Tschechow jedoch ein vielschichtiges Porträt seiner Figuren, und deren Beziehungen zu einander.

Diese sind meistens eher nicht süss sondern geprägt von einer Mischung aus Langeweile und einem Unvermögen miteinander zu kommunizieren. Tschechows Liebe ist in den meisten Fällen ei- ne unerwiderte und frustrierte. Sie führt so zu subtilen Verletzungen und Lügen, die die Figuren mit sich herumtragen und aufeinander projizieren. Dass die Erzählungen bei all dem nicht zynisch vorkommen, liegt an der Wärme die Tschechow seinen Figuren entgegen- bringt. Er beschreibt ihr Lieben und Leiden mit einer einfühlsamen Melancholie, die einen als Leser mitnimmt und die Chemie ein bisschen vergessen lässt, während man vom zürcher in den russischen Sommerabend hineinversetzt wird.

Veröffentlicht in Exsi, Kurz.

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